Regional vernetzt voneinander lernen
In regionalen Netzwerken tauschen sich Schulleitungen intensiv miteinander aus und bekommen passgenaue Angebote aus dem SchuMaS-Forschungsverbund. Schulleiterin Nicole Haverkamp, ihre Vertreterin Andrea Schiermann und Susanne Farwick, Mitarbeiterin des regionalen SchuMaS-Zentrums Duisburg-Essen, sprechen über diese gewinnbringende Zusammenarbeit.
Frau Haverkamp, Sie sind Schulleiterin der Grundschule Bodelschwingh. Können Sie uns Ihre Schule kurz beschreiben?
Haverkamp: Wir sind eine Schule des gemeinsamen Lernens mit circa 230 Schülerinnen und Schülern, die zum großen Teil aus bildungsfernen Haushalten stammen. Wir sind sehr bunt gemischt: Wir haben eine große Vielfalt an verschiedenen Religionen und an verschiedenen Herkunftsländern. Sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrerinnen und Lehrer und die Eltern lernen beziehungsweise arbeiten sehr gerne hier zusammen. Wir leben ein gutes Miteinander.
„Wir organisieren den Austausch von Expertise zwischen den Schulleitungen, wir bringen Wissen aus der Forschung in die Praxis, aber auch – und das ist sehr wichtig – aus der Praxis in die Wissenschaft.“
Dr. Susanne Farwick, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Mit Blick auf den Bildungserfolg sind oft die Lehrkräfte und der Unterricht im öffentlichen Fokus. Was ist die Rolle der Schulleitung dabei?
Haverkamp: Für den Unterricht selbst sind natürlich die Lehrkräfte, also das Kollegium, ganz zentral. Unsere Rolle als Schulleitung ist es, ein gutes Team zu formen, das eng zusammenarbeitet, damit alle Kinder den gleichen guten Unterricht erhalten.
Unsere Aufgabe ist auch, mit den Eltern zu kommunizieren und die Familien so gut zu kennen, dass wir allen Kindern die bestmögliche Unterstützung geben können. An Schulen in benachteiligter Lage und besonders an den Grundschulen ist es so, dass der Unterricht gar nicht allein im Vordergrund stehen kann. Die Kinder bringen schon morgens jedes so ein Päckchen mit. Das müssen wir gut auffangen. Schule ist viel mehr als nur der Unterricht.
Frau Farwick, Sie arbeiten beim regionalen SchuMaS-Zentrum Duisburg-Essen. Was ist Ihre Aufgabe im Zusammenhang mit den Schulleitungsnetzwerken?
Farwick: In den regionalen SchuMaS-Zentren begleiten wir die teilnehmenden Schulen. Zum einen individuell: Wir besuchen die einzelnen Schulen jeweils zu Beginn des Schuljahres. Gemeinsam mit der Schulleitung schauen wir, wie weit die Schule im letzten Schuljahr auf dem Weg zu ihren selbstgesteckten Zielen gekommen ist und welche Angebote vom SchuMaS-Forschungsverbund im nächsten Schuljahr zusätzlich hilfreich sein können.
Zum anderen unterstützen wir die Schulen durch eine regionale Vernetzung der Schulleitungen. Aus der Forschung wissen wir, dass der Austausch zwischen Schulleitungen in einem Netzwerk den Entwicklungsprozess an den Schulen wirkungsvoll unterstützen kann. Wir organisieren regelmäßige Treffen für diesen Austausch.
Wie können wir uns so ein Schulleitungsnetzwerktreffen vorstellen?
Farwick: Innerhalb von „Schule macht stark“ gibt es ungefähr 30 Schulverbünde. Sie umfassen jeweils bis zu neun Schulen aus einer Region. In dem Verbund, in der wir mit der Bodelschwinghschule zusammenarbeiten, sind es sieben Schulen aus dem Münsterland. Wir treffen uns drei- bis viermal im Schuljahr für einen ganzen Tag jeweils an einer der Schulen aus dem Verbund. Dort können wir auch gleich einen Blick in die Räumlichkeiten werfen und sehen, wie die anderen Schulen ihre Möglichkeiten nutzen.
„Zwischen den Schulen unseres Netzwerks gibt es kein Konkurrenzdenken. Bei den Netzwerktreffen sprechen wir sehr offen. Das bewirkt, dass wir alle von unserem Austausch wirklich profitieren können.“
Nicole Haverkamp, Schulleiterin
Von jeder Schule nimmt neben der Schulleitung eine Person aus der erweiterten Schulleitung teil. Bei den Treffen bekommen diese Schulleitungstandems sehr viel Input: von uns, aber auch von anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Forschungsverbund oder von anderen Schulen. Dann stellt sich natürlich die Frage: Was bedeutet das jetzt konkret für unsere Schule? Damit das nicht im vollgepackten Schulalltag untergeht, bieten wir bei den Treffen direkt Arbeitsphasen für die einzelnen Schulleitungstandems an. Daneben gibt es natürlich auch Arbeitsphasen, in denen verschiedene Schulleitungen zusammenarbeiten und ihre unterschiedlichen Perspektiven zusammenzubringen.
Was sind beispielhafte Inhalte und wie werden diese Inhalte ausgewählt?
Farwick: Bei der Themenwahl verfolgen wir zwei Schienen. Im Forschungsverbund orientieren wir uns an einem Entwicklungszyklus, den wir gemeinsam mit den Schulen während ihrer Teilnahme immer wieder durchlaufen. Daran orientiert sich ein Teil der Inhalte, die wir einbringen. Dem Thema datengestützte Schulentwicklung messen wir beispielsweise große Bedeutung zu. Wir besprechen bei den Netzwerktreffen, welche Erfahrungen die Schulen damit gemacht haben und wie sie diese für ihre Entwicklungsprozesse fruchtbar machen können.
„Der Deutschkurs in unserer Schule wird gut angenommen. Wenn die Eltern besser Deutsch lernen, profitieren natürlich auch die Kinder davon.“
Andrea Schiermann, stellvertretende Schulleiterin
Die andere Schiene ist, bei den Besuchen an den einzelnen Schulen Themen zu sammeln, die für viele Schulen relevant sind. In dem Verbund mit der Bodelschwinghschule hatten wir im letzten Schuljahr beispielsweise die Zusammenarbeit mit Eltern als Schwerpunkt. Wir haben uns bei drei Treffen vertiefend damit auseinandergesetzt und auch einen Kollegen aus dem Forschungsverbund eingeladen, der zusätzliches Fachwissen eingebracht hat.
Frau Haverkamp, Frau Schiermann, wie erleben Sie diese Netzwerktreffen? Helfen Ihnen diese Treffen für Ihre Arbeit als Schulleitung?
Haverkamp: Für uns sind die Treffen auf jeden Fall sehr gewinnbringend. Es geht dort genau um die Themen, die uns alle beschäftigen. Die Herausforderungen vor denen wir bei uns in der Bodelschwinghschule stehen, vor denen stehen auch die anderen Schulen, denn sie sind in einer ähnlichen Lage und machen ähnliche Erfahrungen. Es ist sehr, sehr hilfreich, wenn man von diesen Schulen erfährt, wie sie bestimmte Themen angegangen sind.
Wenn wir uns dagegen auf Stadtebene hier in Rheine mit anderen Schulen treffen, kommen Schulen mit ganz verschiedenen Standortvoraussetzungen zusammen. Außerdem gibt es da oft ein gewisses Konkurrenzdenken. Zwischen den Schulen unseres Netzwerks gibt es kein Konkurrenzdenken. Bei den Netzwerktreffen sprechen wir sehr offen. Das bewirkt, dass wir alle von unserem Austausch wirklich profitieren können.
Was haben Sie an Ihrer Schule schon verändert, seit Sie bei "Schule macht stark" mitmachen?
Schiermann: Wir haben vieles angestoßen. Größere Veränderungen brauchen allerdings Zeit, gerade bei der Schulentwicklung. Wir möchten Familiengrundschulzentrum werden. Diese Möglichkeit haben wir in unserem Netzwerk kennengelernt. Einige Arbeitsweisen eines solchen Zentrums haben wir bereits übernommen. Wir sind im Austausch mit unserem Schulträger, sehen aber auch, wie komplex sich so ein Vorgang manchmal gestaltet. Wir gehen das Schritt für Schritt an.
„Jede Schule hat Ansätze, bei denen sie sich bereits erfolgreich auf den Weg gemacht hat und bei denen sie schon hervorsticht.“
Dr. Susanne Farwick, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Wir arbeiten aber schon jetzt daran, die Eltern noch mehr als bisher in die Schule einzubeziehen. In Kooperation mit der Stadt können wir an zwei Vormittagen bei uns in der Schule einen Deutschkurs für Eltern anbieten. Für viele Eltern ist der Weg aus unserem Viertel bis in die Innenstadt zu einem Kurs schon eine Hürde. Der Deutschkurs in unserer Schule wird gut angenommen. Wenn die Eltern besser Deutsch lernen, profitieren natürlich auch die Kinder davon.
Können Sie uns weitere Beispiele für die Zusammenarbeit mit den Eltern nennen?
Haverkamp: Uns ist ein guter Kontakt zu den Eltern sehr wichtig, gerade weil die Hürden für die Eltern an Schulen wie unserer manchmal etwas höher sind. Wir arbeiten schon seit ein paar Jahren erfolgreich mit einem speziellen Messenger. Der funktioniert ähnlich wie E-Mail und hat eine Übersetzungsfunktion in zahlreiche Sprachen und zurück ins Deutsche. Wir können mit diesem Messenger ganze Klassen, Gruppen oder einzelne Eltern anschreiben. Die Eltern haben die Möglichkeit, die Nachricht direkt in ihre Muttersprache übersetzen zu lassen und so auch zu antworten. Einige Schulen aus unserem Netzwerk arbeiten inzwischen ebenfalls mit einem solchen Messenger.
Ein Ansatz, den wir von anderen Netzwerkschulen übernommen haben, ist, dass wir bei Schulfesten den Eltern etwas zum Essen und zum Trinken anbieten. So fühlen sie sich mehr eingeladen, wir kommen leichter mit ihnen ins Gespräch und können einfacher anregen, zum Beispiel beim Waffelbacken zu helfen oder sich anderweitig am Schulfest zu beteiligen.
Frau Farwick, was für Rückmeldungen erhalten Sie von anderen Schulen?
Farwick: Das ist natürlich sehr vielfältig, denn jede Schule steht an einem anderen Punkt und setzt sich in unterschiedlichen Bereichen Ziele für die Arbeit in „Schule macht stark“. In vielen Schulleitungsnetzwerken ist die Zusammenarbeit mit Eltern ein wichtiges Thema. Viele teilnehmende Schulen probieren die Ansätze und Ideen aus ihrem Netzwerk aus.
Das Thema Daten und datengestützte Schulentwicklung hat innerhalb von „Schule macht stark“ eine große Bedeutung. Viele Schulleitungen schauen sich beispielsweise Daten zum schulischen Sozialraum genauer an: Wo kommen unsere Schülerinnen und Schüler her? In welchen Räumen bewegen sie sich? Wie können wir als Schule darauf reagieren? Eine Möglichkeit ist es beispielsweise, sich wie die Bodelschwinghschule in Richtung eines Familiengrundschulzentrums zu entwickeln. Oder auch stärker sozialraumorientiert zu arbeiten und sich in der Umgebung zu vernetzen, zum Beispiel mit Angeboten aus der Jugendhilfe oder durch Zusammenarbeit mit Vereinen.
„Schule ist viel mehr als nur der Unterricht.“
Nicole Haverkamp, Schulleiterin
Wir haben vorhin über die Rolle von Schulleitungen für die Gestaltung des Unterrichts gesprochen: Die Schulleitungsnetzwerke haben hier durchaus Einfluss, denn die Schulleitungen ebnen gewissermaßen den Raum für Unterrichtsentwicklung. Sie entwickeln Strukturen, in denen die Kolleginnen und Kollegen in Teams zusammenarbeiten können.
Frau Haverkamp, wie profitieren Ihre Lehrkräfte davon, dass Sie an den Netzwerktreffen teilnehmen?
Haverkamp: Unsere Lehrkräfte profitieren davon, dass wir aus den Schulleitungsnetzwerktreffen neue Ideen mitbringen und dass wir Ansätze von Schulen aus unserem Netzwerk ausprobieren. Als Beispiel: Eine Lehrerin an unserer Schule plädierte schon lange dafür, Hausaufgaben abzuschaffen. Sie konnte damit in der Lehrerkonferenz nie so richtig durchdringen. Wir haben jetzt eine Schule kennengelernt, die in einer Klasse einen gebundenen Ganztag mit Lernzeiten und ohne Hausaufgaben eingeführt hat. So haben wir eine Möglichkeit kennengelernt, wie wir den Ganztag bei uns besser mit dem Vormittagsbereich verzahnen und in Richtung Lernzeiten denken können. Die Kollegin fühlte sich da nun viel ernster genommen und sieht: Meine Schulleitung hat die Idee ein Stück weit aufgenommen und das Thema hat im Kollegium eine andere Dimension bekommen.
Und profitieren auch Ihre Schülerinnen und Schüler schon von den Netzwerktreffen?
Schiermann: Wir haben uns auf Anregungen aus den Treffen hin stärker im Stadtviertel vernetzt. Gemeinsam mit dem Träger der OGS haben wir Sportvereine kontaktiert. Wir haben Übungsleiterinnen und -leiter gefunden, die zu uns kommen. So konnten wir beispielsweise eine Hockey- oder eine Basketball-AG anbieten. Für die Kinder ist es ein Gewinn, dass sie Sportarten hier direkt in der Schule ausprobieren können. Für die Vereine ist es auch ein Gewinn, wenn Schulkinder dann in den Verein eintreten.
Farwick: Auch der Forschungsverbund profitiert von den Schulleitungsnetzwerktreffen! In den regionalen SchuMaS-Zentren haben wir eine Schnittstellen-Funktion: Wir organisieren den Austausch von Expertise zwischen den Schulleitungen, wir bringen Wissen aus der Forschung in die Praxis, aber auch – und das ist sehr wichtig – aus der Praxis in die Wissenschaft. Mit unseren Kolleginnen und Kollegen schauen wir dann, was es zu den Praxisfragen bereits an Forschung gibt und wo weiter geforscht werden sollte.
Wir wollen insgesamt sichtbar machen, was wir bei unseren Netzwerktreffen an guter Praxis kennengelernt haben. Dafür möchten wir in einen Praxisband sammeln, wo die Schule schon jetzt ganz tolle Arbeit leisten und für ihre Schülerinnen und Schüler positive Veränderungen herbeigeführt haben. Jede Schule hat Ansätze, bei denen sie sich bereits erfolgreich auf den Weg gemacht hat und bei denen sie schon hervorsticht.
Frau Farwick, Frau Haverkamp, Frau Schiermann, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Kurzvitae
- Dr. Susanne Farwick
Susanne Farwick ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Bildungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Sie betreut im regionalen SchuMaS-Zentrum Duisburg-Essen mehrere Schulleitungsnetzwerke. Innerhalb des Verbunds ist sie in mehreren Arbeitsgruppen in die Ausgestaltung der Netzwerkarbeit eingebunden.
- Nicole Haverkamp
Seit 2016 leitet Nicole Haverkamp die Bodelschwinghschule in Rheine, eine Grundschule mit circa 230 Schülerinnen und Schülern. Zuvor war sie als Lehrerin an einer Schule in einem sozialbenachteiligten Umfeld in Emsdetten tätig. Sie unterrichtet vorrangig das Fach Sport.
- Andrea Schiermann
Seit 2018 ist Andrea Schiermann stellvertretende Schulleiterin der Bodelschwinghschule in Rheine. Zuvor war sie dort bereits fünf Jahre als Lehrerin tätig. Sie unterrichtet die Fächer Mathematik, Deutsch, Kunst und Musik. Bevor sie zur Bodelschwinghschule gewechselt ist, hat sie an einer Schule in Essen gearbeitet.