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Gesund bleiben im Lehrerberuf

Professorin Uta Klusmann und Lehrerin Patricia Patalag-Majorek sprechen über den Workshop „Gesundheit und Wohlergehen im Lehrerberuf“ und blicken auf Workshops, die die Interaktion mit Lernenden und ein gesundheitsförderliches Schulklima in den Fokus rücken.

Lehrkräfte im Gespräch. © Adobe Stock/ contrastwerkstatt

Frau Klusmann, Sie haben den Workshop "Gesundheit und Wohlbefinden im Lehrerberuf" entwickelt, bereits mehrfach durchgeführt und bieten ihn auch weiter an. Was sind die Inhalte?

Klusmann: Wir haben den Workshop forschungsbasiert entwickelt. Das heißt, er beinhaltet Programmbausteine, bei denen sich in vorherigen Studien gezeigt hat, dass sie geeignet sind, das Wohlbefinden von Lehrkräften zu fördern. Wir führen – im Unterschied zu bisherigen Programmen – den Workshop online-basiert durch. Die Lehrkräfte können sich folglich von überall her zuschalten und sich mit uns und untereinander austauschen. Zu Beginn geht es in unserem Workshop darum, den eigenen Stress-Prozess zu verstehen. Unser Ziel ist es, dass die Lehrkräfte zu Expertinnen und Experten für ihr eigenes Erleben werden, dass sie erkennen: Was löst bei mir Stress aus? Aber vor allem auch: Was sind meine Ressourcen? Dann schauen wir uns gemeinsam an: Welche Strategien habe ich zur Verfügung, um mit Stress umzugehen? Wie kann ich meine Emotionen regulieren? Wie kann ich achtsam mit mir umgehen? Wie finde ich mehr Zeit für Pausen und Erholung?

Stressoren und Ressourcen

Als Stressoren bezeichnet man unter anderem berufliche Anforderungen oder Situationen, die von einer Person als überfordernd, unangenehm oder bedrohlich wahrgenommen werden. Ressourcen helfen der Person, die beruflichen Anforderungen entweder gar nicht als Stressoren wahrzunehmen oder, wenn doch, diese Anforderungen besser bewältigen zu können. Die Ressourcen können in der Person selbst oder in ihrer Umwelt liegen.

Ressourcen können beispielsweise berufliche Erfahrung, ausreichend Zeit oder Unterstützung durch andere Personen sein. Auf den Lehrerberuf bezogen können Ressourcen zum Beispiel die Zusammenarbeit im Kollegium sein, ein angenehmes Schulklima und gelingendes Miteinander mit den Schülerinnen und Schülern. Ein und dieselbe Situation kann in Abhängigkeit von den vorhandenen Ressourcen ganz unterschiedlich erlebt werden. Sind ausreichend Ressourcen vorhanden, verringert dies das Auftreten von Stress deutlich und steigert das berufliche Wohlbefinden.



Was ist das Ziel Ihres Workshops?

Klusmann: Das Ziel ist, das Wohlbefinden der Lehrkräfte zu steigern und beruflichen Stress zu reduzieren. Dazu versuchen wir den Lehrkräften mögliche, neue Wege im Umgang mit den beruflichen Belastungen zu zeigen und mit ihnen gemeinsam herauszuarbeiten, welche Strategien für sie und ihre individuelle Situation passend sein könnten. Wir können mit unseren Workshops die grundsätzlichen Bedingungen des Berufs, der anspruchsvoll ist, nicht verändern. Aber wir wollen die Lehrkräfte darin unterstützen, ihre Ressourcen zu erkennen und diese gezielt zu stärken, um besser mit den Anforderungen des Lehrkräfteberufs zurecht zu kommen.


Wie ist der Workshop aufgebaut? Und gibt es auch praktische Übungen?

Klusmann: Es sind vier Termine von je anderthalb Stunden. Da der Workshop online angeboten wird, können Lehrkräfte aus ganz Deutschland daran teilnehmen. Die Gruppen bestehen aus circa 15 bis 20 Lehrkräften. Wir beginnen die Workshops mit einem kurzen theoretischen Einstieg und motivieren die Teilnehmenden dann, die Inhalte auf sich und die eigene Situation zu übertragen und neue Strategien für den Alltag zu überlegen. Dazu machen wir ganz konkrete Übungen, arbeiten mit Fallbeispielen und integrieren Achtsamkeits- und Entspannungsübungen. Zwischen den einzelnen Terminen in der Gruppe führen die Lehrkräfte ein Online-Tagebuch, in dem sie gezielt reflektieren, wie ihre Arbeitstage ablaufen und ob sie die vorgestellten Strategien im Alltag anwenden können.


Frau Patalag-Majorek, Sie haben an einem dieser Workshops teilgenommen. Wie haben Sie den Workshop erlebt?

Patalag-Majorek: Ich habe den Workshop als sehr bereichernd für mich empfunden. Bereits nach dem ersten Termin habe ich mich auf den nächsten Workshop gefreut, obwohl es ein zusätzlicher Termin neben all meinen anderen Verpflichtungen war.

„Ich habe gemerkt, dass ich von der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen sehr profitiere.“

Patricia Patalag-Majorek


Warum haben Sie den Workshop gewählt?

Patalag-Majorek: Als ich in der Corona-Zeit eine erste Klasse übernahm, begann nach einigen Wochen der Distanzunterricht. Das war nicht nur für mich eine große Herausforderung, sondern auch für die Kinder und die Eltern. Wie haben alle versucht in der Situation bestmöglich zu handeln. Neben Videokonferenzen, Suchen nach geeigneten Online-Lernplattformen, Nachschauen der Schülerergebnisse und Beantworten der E-Mails der Eltern merkte ich, dass ich kaum mehr Feierabend hatte und mich zunehmend wie in einem Hamsterrad fühlte.

Als dann nach und nach wieder Präsenzunterricht stattfand, aber viele Kinder immer wieder in Quarantäne waren, musste ich zusätzlich weiter Distanzunterricht vorbereiten. Die Klasse kam nun als ganze Klasse zusammen. Es kristallisierten sich die ersten sozialen Schwierigkeiten heraus und es kam häufig zu unerwünschtem Verhalten. Der Spagat zwischen der Unruhe im Präsenzunterricht und dem zusätzlichen Aufwand zu Hause, um die Kinder in Quarantäne zu betreuen, brachte mich an meine Belastungsgrenze. Genau zu dieser Zeit bekam ich von meiner Schulleiterin den Link mit dem Workshop "Gesundheit und Wohlergehen im Lehrerberuf" und dachte: Das brauche ich jetzt!


Sie haben eindrücklich geschildert, wie Sie Ihre Situation als Lehrerin in der Corona-Zeit erlebt haben. Was sind jetzt im „normalen“ Alltag die besonderen Herausforderungen an Ihrer Schule?

Patalag-Majorek: Mich beschäftigt sehr, wie ich mit unerwünschtem Verhalten umgehe. Es gibt immer mal wieder ungünstige Konstellationen von verhaltensauffälligen Kindern, mit denen es dann im Unterricht und in den Pausen häufig zu Konflikten kommt. Der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten erfordert viele Beratungen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schulsozialarbeit und aus der Förderpädagogik. Wir haben an unserer Schule das Glück, Kolleginnen und Kollegen aus diesen Bereichen zu haben. Außerdem habe ich mich auch schon mit Mitarbeitenden des Jugendamtes und des Mobilen Dienstes ausgetauscht. ­– Hier in Niedersachsen bieten die Mobilen Dienste Unterstützung an für die Integration von Kindern mit Förderbedarf. – Die Zusammenarbeit mit all diesen Fachleuten ist sehr hilfreich, beansprucht aber auch viel Zeit.

 
Was aus dem Workshop hilft Ihnen konkret im Alltag?

Patalag-Majorek: Ganz konkret hilft mir, gezielt die Pausen zu nutzen! Oft hat man als Lehrkraft eigentlich keine Pause, weil man Aufsicht hat oder weil man ein Gespräch führen muss. Aber wenn ich wirklich Pause oder eine Freistunde habe, dann nutze ich diese jetzt für mich. In Freistunden bin ich aus der Schule herausgegangen und habe so ganz bewusst Pause gemacht. Ich bin in ein Café gefahren und ein anderes Mal habe ich einen Spaziergang gemacht.

Ich habe immer viele Aufgaben. Heute zum Beispiel weiß ich genau, ich kann gar nicht alle Aufgaben schaffen. Daher mache ich eine Liste und arbeite sie nach der Priorität ab. Ich schaue, was ist für morgen ganz wichtig? Was hat etwas mehr Zeit? Was hat beispielsweise bis Freitag Zeit?

Achtsamkeitsübungen kannte ich schon vom Yoga. Die habe ich für mich durch den Workshop wiederentdeckt. Ich mache Sachen ganz bewusst und versuche in Stresssituationen kurz inne zu halten, um meine Emotion zu regulieren.

Professorin Uta Klusmann und Lehrerin Patrica Patalag-Majorek im Online-Interview. © BMBF


Da haben Sie ja eine ganze Reihe von Ansätzen aus dem Workshop übernehmen können, Frau Patalag-Majorek. Frau Klusmann, Sie haben bestimmt auch Feedback von anderen Teilnehmern bekommen?

Klusmann: Eine systematische Evaluation der Workshops kommt noch. Aber wir haben erste Rückmeldungen bekommen. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind zufrieden und berichten, dass sie etwas mitgenommen haben und dass sich ihre Erschöpfung reduziert hat. Wir werden diesen Workshop Schritt für Schritt weiterentwickeln, um ihn optimal an die Bedürfnisse der Lehrkräfte, die in Schulen in sozial benachteiligten Lagen arbeiten, anzupassen.

Wir werden außerdem Workshops zu weiteren Themen entwickeln. Damit werden wir Anfang 2023 starten. Bisher haben wir sehr stark auf die Person selbst geschaut: Was kann ich tun, was stresst mich? Viele Lehrkräfte wünschen sich aber noch mehr Inhalte, insbesondere zu den sozialen Herausforderungen des Berufs: schwierige Gespräche mit Eltern, mit Schülerinnen und Schülern, aber auch mit den Kolleginnen und Kollegen oder mit der Schulleitung. Soziale Konflikte sind oft das, was Lehrkräfte besonders fordert. Frau Patalag-Majorek, Sie haben solche Konstellationen von verhaltensauffälligen Kindern genannt. Für viele solcher Situationen gibt es Techniken, die man einüben kann. Wie führt man ein Konfliktgespräch? Wie kann Elternarbeit noch besser gestaltet werden? Allein schon zu wissen, dass man eine Strategie hat, an der man sich entlangbewegen kann, erleichtert in so eine Situation hineinzugehen. Gerade für Schulen, die bei „Schule macht stark“ teilnehmen, ist das ein wichtiges Thema: das Soziale, die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern, aber auch mit den Eltern.


An diesem geplanten Aufbauworkshop könnte dann beispielsweise Frau Patalag-Majorek auch wieder teilnehmen? Haben Sie noch weitergehende Pläne?

Klusmann: Ganz genau. Und ja, wir wollen noch weiter gehen. Bisher kommen Lehrkräfte von ganz verschiedenen Schulen. Es kann für die Lehrkräfte entlastend sein, sich in einem geschützten Rahmen jenseits ihres Kollegiums und der Schulleitung mit dem Thema Gesundheit und Wohlbefinden beschäftigen zu können. Aber wir bekommen auch Anfragen von Schulen als Ganzes, die sich dem Thema zuwenden wollen. Auch für diese Schulen wollen wir ein Angebot machen. In dem neuen Workshop werden wir an weiteren Aspekten arbeiten: an der Zusammenarbeit, am kollegialen Miteinander, am Schulklima und an Organisationsstrukturen.

Zusätzlich planen wir speziell für Schulleitungen Workshops anzubieten, weil diese als Führungskräfte entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des schulischen Kontexts nehmen können.


„In dem neuen Workshop werden wir an weiteren Aspekten arbeiten: an der Zusammenarbeit, am kollegialen Miteinander, am Schulklima und an Organisationsstrukturen.“

Uta Klusmann


Frau Patalag-Majorek, würden Sie den Workshop denn weiterempfehlen und wenn ja, ­warum?

Patalag-Majorek: Ja, ich würde ihn weiterempfehlen, weil er mir weitergeholfen hat. Ich denke, dass es auf jeden Fall sinnvoll ist, sich der Stressoren bewusst zu werden und Strategien zu entwickeln, damit umzugehen. Man ist oft wie in einem Hamsterrad und hat nicht den Blick von außen. Ich fand es gut, eine andere Perspektive einzunehmen und zu sehen: An dieser Stelle kannst du mal raus und da geht es auch anders. Ich fand die Impulse sehr gut und, wie auch Frau Klusmann sagt, man muss dann selbst dran arbeiten.

Ich fand auch die Reflexionsfragen und das emotionale Tagebuch hilfreich. Das Tagebuch, das ich heute Nachmittag bereits rückblickend geführt habe, richtete den Fokus auf Fragen wie: Was hat mich heute belastet? Oder was war heute gut? Damit merke ich im Rückblick, dass es oft viele schöne Momente mit den Kindern in der Klasse gab, die dann von den unschönen überschattet wurden. Ich versuche für die Situationen, die mich belastet haben, Strategien zu entwickeln und mit ihnen so umzugehen, dass sie nicht mehr energieraubend für mich sind.


Der Workshop hat Ihnen also Strategien vermittelt, die Sie umsetzen können und die Ihnen im Alltag an der Schule und mit den Schülerinnen und Schülern helfen.

Klusmann: Wir sehen immer, wie wichtig es ist, dass es den Lehrkräften gut geht. Ohne sie geht gar nichts in der Schule. Und mir ist wichtig, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zum Thema zu machen und die Lehrkräfte mit unseren Workshops zu unterstützen.


Wir bedanken uns sehr herzlich bei Ihnen beiden, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns dieses Gespräch zu führen.



Prof. Dr. Uta Klusmann

Uta Klusmann ist stellvertretende Direktorin der Abteilung „Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie“ am IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und Professorin für empirische Bildungsforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie leitet außerdem das Inhaltscluster „Professionalisierung“ von „Schule macht stark – SchuMaS“.

Lehrerin Patricia Patalag-Majorek

Patricia Patalag-Majorek arbeitet als Lehrerin an der Grundschule Am Ostertal an der Außenstelle Salder. Die Schule liegt in Salzgitter in Niedersachsen.